Digitale Anwendungen barrierefrei gestalten

Wie können digitale Anwendungen barrierefrei gestaltet werden?

In einer zunehmend digitalen Welt ist Barrierefreiheit nicht nur ein Nice-to-have, sondern eine Notwendigkeit. Digitale Anwendungen müssen so gestaltet werden, dass sie für alle Menschen zugänglich sind, unabhängig von ihren physischen oder kognitiven Fähigkeiten. Doch wie kann man digitale Anwendungen barrierefrei gestalten?

Warum ist digitale Barrierefreiheit wichtig?

Barrierefreiheit in digitalen Anwendungen bedeutet, dass Websites, Apps und andere digitale Plattformen von allen Menschen genutzt werden können, einschließlich Personen mit Einschränkungen. Dies umfasst Menschen mit Sehbehinderungen, Hörbehinderungen, motorischen Einschränkungen und kognitiven Beeinträchtigungen. Dabei kommt eine benutzerfreundliche Anwendung allen zu Gute. Zumal jeder auch von situativen Einschränkungen betroffen sein kann.


Welche menschlichen Einschränkungen gibt es?

Jeder von uns kann unter Umständen, wenn auch nur vorübergehend, Einschränkungen erleben. Ein Armbruch oder eine Augenoperation sind Beispiele für Situationen, in denen unsere Fähigkeit zur Nutzung digitaler Anwendungen erheblich beeinträchtigt sein kann. Solche vorübergehenden Einschränkungen verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass digitale Anwendungen barrierefrei gestaltet sind. Wenn Anwendungen so entwickelt werden, dass sie auch unter diesen Bedingungen benutzerfreundlich bleiben, profitieren nicht nur Menschen mit dauerhaften Einschränkungen, sondern auch jene, die nur vorübergehend beeinträchtigt sind. Dies stellt sicher, dass alle Nutzer eine gleichwertige Zugänglichkeit und Nutzererfahrung haben, unabhängig von ihren momentanen physischen oder kognitiven Einschränkungen.

 

Darstellung menschlicher Barrieren


 
Die Barrierefreiheit basiert auf vier Grundprinzipien

Die Barrierefreiheit basiert auf vier Grundprinzipien, die oft als POUR-Prinzipien bezeichnet werden: Wahrnehmbarkeit (Perceivable), Bedienbarkeit (Operable), Verständlichkeit (Understandable) und Robustheit (Robust). Diese Prinzipien wurden von den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) definiert und bieten einen Rahmen zur Gestaltung barrierefreier digitaler Anwendungen.

Wahrnehmbarkeit (Perceivable): Informationen und Benutzeroberflächen-Komponenten müssen den Nutzern auf eine Weise präsentiert werden, die sie wahrnehmen können.

Dies umfasst:

  • Textalternativen: Bereitstellung von Alt-Text für Bilder, sodass Screenreader den Inhalt beschreiben können.
  • Multimedia-Alternativen: Bereitstellung von Untertiteln für Videos und Transkripten für Audiodateien.
  • Adaptierbare Inhalte: Erlauben von Anpassungen, wie das Ändern der Schriftgröße und der Farbschemata, um Inhalte besser sichtbar zu machen.

Bedienbarkeit (Operable): Benutzer müssen in der Lage sein, die Benutzeroberfläche zu bedienen.

Dies bedeutet:

  • Tastaturzugänglichkeit: Sicherstellen, dass alle Funktionen einer Anwendung über die Tastatur erreichbar sind.
  • Navigierbarkeit: Bereitstellung einer klaren und logischen Navigationsstruktur.
  • Genügend Zeit: Nutzern genügend Zeit geben, um Inhalte zu lesen und zu verwenden, ohne dass sie durch Zeitbeschränkungen behindert werden.
  • Vermeidung von Auslösern: Vermeidung von Inhalten, die Anfälle oder andere physische Reaktionen auslösen könnten, wie blinkende Lichter.

Verständlichkeit (Understandable): Die Informationen und die Bedienung der Benutzeroberfläche müssen verständlich sein.

Dies umfasst:

  • Lesbarkeit: Verwendung klarer und einfacher Sprache.
  • Vorhersehbarkeit: Sicherstellen, dass die Benutzeroberfläche konsistent ist und erwartungsgemäß funktioniert.
  • Eingabehilfe: Bereitstellung von Hilfen zur Fehlervermeidung und -korrektur, wie verständliche Fehlermeldungen und Eingabehilfen bei Formularen.
     

Robustheit (Robust): Inhalte müssen robust genug sein, um von einer Vielzahl von Benutzeragenten, einschließlich assistiver Technologien, zuverlässig interpretiert zu werden.

Dies bedeutet:

  • Kompatibilität: Sicherstellen, dass die Anwendung mit verschiedenen Browsern und Geräten funktioniert.
  • Zukunftssicherheit: Verwendung standardkonformer und semantisch korrekter HTML- und WAI-ARIA-Techniken, um die Langlebigkeit und Kompatibilität mit zukünftigen Technologien zu gewährleisten.


Durch die Einhaltung dieser Prinzipien kann sichergestellt werden, dass digitale Anwendungen für eine möglichst breite Nutzerbasis zugänglich sind.
 

Praktische Maßnahmen zur Umsetzung der Barrierefreiheit

  1. Verwendung von ARIA-Rollen und -Eigenschaften: Accessible Rich Internet Applications (ARIA) helfen, barrierefreie Anwendungen zu entwickeln, indem sie semantische Informationen zu HTML hinzufügen. Dies erleichtert es unterstützenden Technologien, wie Screenreadern, den Inhalt korrekt zu interpretieren.
  2. Kontrast und Farbgestaltung: Ausreichender Kontrast zwischen Text und Hintergrund erleichtert es Menschen mit Sehschwächen, den Inhalt zu lesen. Verwenden Sie Tools zur Überprüfung des Farbkontrasts, um sicherzustellen, dass Ihre Anwendung die erforderlichen Standards erfüllt.
  3. Untertitel und Transkripte für audiovisuelle Inhalte: Stellen Sie sicher, dass Videos und Audiodateien mit Untertiteln und Transkripten versehen sind. Dies hilft nicht nur gehörlosen Nutzern, sondern verbessert auch die Suchmaschinenoptimierung (SEO).
  4. Einfache Navigation und Layouts: Eine klare und konsistente Navigation sowie ein übersichtliches Layout erleichtern es allen Nutzern, sich zurechtzufinden. Vermeiden Sie komplexe Menüstrukturen und sorgen Sie dafür, dass wichtige Informationen leicht zugänglich sind.
  5. Formulare und interaktive Elemente: Stellen Sie sicher, dass alle Formularelemente eindeutig beschriftet sind und Fehlermeldungen klar und hilfreich formuliert werden. Interaktive Elemente sollten mit der Tastatur bedienbar sein.
  6. Barrierefreiheits-Tests: Regelmäßige Tests mit verschiedenen unterstützenden Technologien und echten Nutzern mit Einschränkungen sind unerlässlich, um sicherzustellen, dass Ihre Anwendung barrierefrei ist.

Was ist das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?


Das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG) ist eine gesetzliche Regelung in Deutschland, die darauf abzielt, die Barrierefreiheit in verschiedenen Lebensbereichen zu verbessern. Ziel des Gesetzes ist es, die Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen  am gesellschaftlichen Leben zu fördern, indem sowohl physische als auch digitale Barrieren abgebaut werden. Das BFSG verpflichtet öffentliche und private Anbieter dazu, ihre Dienstleistungen und Produkte barrierefrei zu gestalten.


Wen betrifft das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz?


Das BFSG betrifft eine breite Palette von Unternehmern und Dienstleistern:

  1. Öffentliche Einrichtungen: Behörden, Bildungseinrichtungen, öffentliche Verkehrsmittel und andere öffentliche Institutionen müssen ihre Angebote barrierefrei gestalten.
  2. Private Unternehmen: Insbesondere große und mittelständische Unternehmen sind gefordert, ihre Produkte und Dienstleistungen anzupassen. Dies betrifft unter anderem den Einzelhandel, Banken, Versicherungen und Telekommunikationsanbieter.
  3. Dienstleister und Entwickler: Unternehmen, die Software, Websites und mobile Anwendungen entwickeln oder betreiben, müssen sicherstellen, dass ihre digitalen Produkte barrierefrei sind.
  4. Transport- und Reiseunternehmen: Anbieter von Verkehrsdiensten, einschließlich Bahnen, Fluggesellschaften und Reisebüros, sind ebenfalls verpflichtet, ihre Dienstleistungen barrierefrei zu gestalten.

 
Was müssen Sie tun?


Unternehmen müssen verschiedene Maßnahmen ergreifen, um den Anforderungen des BFSG gerecht zu werden:

  1. Bestandsaufnahme und Planung: Unternehmen müssen eine Bestandsaufnahme durchführen, um bestehende Barrieren zu identifizieren, und darauf basierend einen Plan zur Beseitigung dieser Barrieren erstellen.
  2. Schulung und Sensibilisierung: Mitarbeiter müssen geschult und für das Thema Barrierefreiheit sensibilisiert werden, um die gesetzlichen Anforderungen zu verstehen und umzusetzen.
  3. Anpassung der Infrastruktur: Dies kann den Einbau von Rampen, Aufzügen und anderen Hilfsmitteln umfassen, um physische Zugänglichkeit zu gewährleisten.
  4. Umgestaltung digitaler Angebote: Websites, Apps und andere digitale Angebote müssen den Richtlinien für barrierefreie Informationstechnik (BITV) entsprechen.
  5. Regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung: Unternehmen müssen ihre Maßnahmen regelmäßig überprüfen und anpassen, um sicherzustellen, dass sie den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.


Welche Fristen müssen eingehalten werden?


Unternehmen haben bis zum 28. Juni 2025 Zeit, ihre bestehenden digitalen Angebote barrierefrei zu gestalten. Dies betrifft sowohl die Anpassung der Zugänglichkeit als auch die regelmäßige Überprüfung und Aktualisierung.


Der Nutzen der Barrierefreiheit für Unternehmer


Die Implementierung von Barrierefreiheit in digitalen Anwendungen bietet Unternehmern zahlreiche Vorteile, die weit über die Erfüllung gesetzlicher Anforderungen hinausgehen. Hier sind einige der wesentlichen Vorteile.

  1. Erweiterte Reichweite und Marktanteile: Durch die Gestaltung barrierefreier digitaler Produkte können Unternehmen eine breitere Zielgruppe erreichen, einschließlich Menschen mit Behinderungen und älteren Menschen. Dieser erweiterte Zugang kann neue Kundenkreise erschließen und bestehende Märkte vergrößern.
  2. Höhere Kundenzufriedenheit und -loyalität: Barrierefreies Design kommt nicht nur Menschen mit Einschränkungen zugute, sondern verbessert allgemein die Nutzererfahrung. Funktionen wie klare Navigation, anpassbare Textgrößen und optimierte Ladezeiten steigern die Benutzerfreundlichkeit für alle Nutzer.
  3. Erhöhte SEO-Leistung: Barrierefreie Websites sind oft besser strukturiert und verwenden klare, beschreibende Texte und Alt-Tags für Bilder. Dies verbessert nicht nur die Zugänglichkeit, sondern auch die Suchmaschinenoptimierung (SEO). Eine höhere Sichtbarkeit in Suchmaschinen kann zu mehr Traffic und damit zu mehr Geschäftsmöglichkeiten führen.
  4. Reduzierte Rechtsrisiken: Die Einhaltung von Barrierefreiheitsstandards wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG) minimiert rechtliche Risiken. In vielen Ländern sind barrierefreie digitale Angebote gesetzlich vorgeschrieben. Unternehmen, die diese Anforderungen erfüllen, können rechtlichen Auseinandersetzungen und möglichen Strafen vorbeugen.

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